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Solidarität muss praktisch werden!
Dieser Artikel wurde von Anne Helm geschrieben und erschien am 9.9.2015 bei digitalcourage.de.
Ja. Big Data ist praktisch, denn es ermöglicht Musikempfehlungen und Staumeldungen. Ob und wie jede.r über die eignen Daten entscheiden kann, ist eine Frage die immer gestellt und immer wieder unterschiedlich beantwortet wird. Aber eigentlich ist es mir egal denn ich hab nichts zu verbergen. Diese Position muss man sich allerdings leisten können.
Auf der Grundlage von massenhafter Auswertung von Kommunikations- und Bewegungsdaten wird ein Normverhalten definiert. Was alle gleich machen, muss normal sein. Wer sich dieser Norm entsprechend verhält wird die Überwachung gar nicht wahrnehmen und hat keine weiteren Konsequenzen zu befürchten. Wer allerdings von der Norm abweicht kann alleine deshalb ins Fadenkreuz geraten.
In der angespannten Mietensituation wird es immer üblicher, dass in Großstädten eine ganze Reihe persönlicher Daten von potenziellen Mieter.innen verlangt werden um unter ihnen die solventesten in der sichersten Lebenssituation herauszufiltern. Menschen, die nicht die Möglichkeit haben Einkommensnachweise über drei Monate vorzulegen, werden so vom Wohnungsmarkt ausgeschlossen. Auch wenn es keine gesetzliche Grundlage dafür gibt. Aber wer sich als Einzelne.r wehrt und die geforderten Unterlagen nicht abliefert, bekommt schlicht die Wohnung nicht und vermutlich auch lange keine andere. Widerstand funktioniert hier nur, wenn möglichst alle mitmachen.
Je mehr ich über mich selbst preisgebe, desto schwerer wird es für andere, sich der Ausleuchtung zu wiedersetzen.
Für mich bedeutet für das Passieren von Grenzen ohne Passkontrollen beispielsweise vor allem Bequemlichkeit und Freiheit. Keine Warteschlangen, kein Kramen nach dem Pass usw. Für andere ist es lebensnotwendig.
Die EU-Innenminister.innen haben sich darauf verständigt, dass zur Verhinderung von Terroranschlägen innereuropäische Fernzugfahrten künftig an Personalausweise geknüpft werden sollen. In der Umsetzung könnte dadurch eine Situation, wie in den letzten Wochen in Ungarn, mit wesentlich geringerem exekutiven Aufwand verhindert werden. Die emotionalen Bilder von Menschen auf der Flucht, die an Bahnhöfen ohne Versorgung eingepfercht und von Polizist.innen geschlagen werden, würden dadurch vermieden. Es würde aber auch ganz konkret zur Folge haben dass Flucht noch gefährlicher, strapaziöser und tödlicher wird. Wenn wir uns fassungslos fragen, wie es passieren kann dass dutzende Menschen mitten in Europa in zugeschweißten LKWs ersticken, finden wir hier eine der Antworten.
Tausende der Menschen, die im Mittelmeer ertrunken sind hätten für einen Bruchteil der Summe, die sie für die erpresserischen Schlepper aufbringen mussten ein sicheres Flugzeug besteigen können. Aber die Visapflicht hat es ihnen unmöglich gemacht.
Abgesehen davon, dass viele Menschen aus Kriegsregionen keine gültigen Papiere besitzen, liegt es in der Natur der Sache, dass gerade politisch Verfolgte ihre Identität verschleiern müssen. Wer seinen Verfolger.innnen entkommen will muss seine Spuren verwischen. Aber das Entziehen von Überwachung wird hart geahndet. Wer seine Identität verschleiert, versucht Kontrollen zu umgehen, oder für seine Überführung bezahlt, kann dafür in Europa inhaftiert werden. Dabei sind es die europäischen Überwachungsgesetze, die eben dies notwendig machen. Je engmaschiger die Überwachung, desto tödlicher die Flucht.
Wenn die Idee der europäischen Integration und Bewegungsfreiheit jetzt aufgegeben wird, nur weil sie gerade besonders dringend gebraucht wird, war sie uns offenbar nicht allzu viel wert.
In einer Zeit, in der laut darüber nachgedacht wird das Verschlüsseln von Kommunikation zu verbieten, ist es vielleicht angebracht den eigenen Einkaufszettel zu verschlüsseln. Nicht aus Angst davor die NSA könne herausfinden ob ich fettarme Milch trinke. Sondern um jene aus dem Fadenkreuz zu holen die darauf angewiesen sind. Widerstand gegen Überwachung muss von denen solidarisch mitgetragen werden, die es sich leisten können nichts zu verbergen zu haben.
Text: Anne Helm
Bild: Takver CC BY-SA 2.0
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